Der Drachentöter

Es war düster in diesem Raum. Das Licht der Kerzen, die überall im Saal verteilt waren, warfen unheimliche Schatten an die Wände. Als Kind hatte Alan eine tiefe Angst und Abscheu in diesem Raum empfunden. Nun blieb nur noch die Ehrfurcht vor seinem Meister, dem Dracon, er genoß sogar schon fast die Energien, die den Raum erfüllten.
Der Dracon saß in seinem thronähnlichen Sessel am anderen Ende des Saales. Wie schon einige Male zuvor fragte sich Alan, wer dieser Mann gewesen sein mochte, bevor er den Meistertitel errang. Er hatte alles menschliche von sich gewiesen, selbst sein wahrer Name war nur ihm selbst bekannt. Doch die mächtige Aura, die den Dracon umgab, beeindruckte Alan nur noch wenig. Einst war dieser Mensch ein Gott für ihn gewesen, doch nun sah er nur noch den alten Mann. Einen mächtigen alten Mann, aber doch nur einen Menschen. Alan hatte diesen Menschen geliebt, gehaßt, gefürchtet und bewundert. Doch nun, da er ihm wieder gegenüberstand, zum ersten mal seit langer Zeit, fühlte er nichts. Er wollte nur wissen, was der Meister von ihm verlangte. Langsam schritt er bis zu der rituellen Stelle vor, die den rituellen Abstand zwischen Meister und Schüler festlegte. Bis zu diesem Zeitpunkt blieben die Augen des Meisters geschlossen. Doch dann, mit einem Mal, öffneten sie sich und blickten genau in die Augen seines Gegenübers.
Alan hatte darauf gewartet. Er hielt dem Blick des Meisters stand, wich den kalten, stahlblauen Augen nicht aus, so wie er es schon oft tun mußte. Kein Mensch in der Schule konnte dem Blick von Alan lange standhalten, doch unter den Augen des Meisters hatte er sich bisher immer geschlagen geben müssen. Doch nicht heute. Heute wollte er siegen. Seine jahrelang trainierten Muskeln spannten sich und er ließ all seine geistige Energie in den Blick fließen.
Ein Lächeln bildete sich auf dem faltigen Gesicht des Meisters. Ein Lächeln! Alan war nicht bereit, aufzugeben. Auch er versuchte zu lächeln, doch er war viel zu angespannt, brachte nur eine Grimasse zustande. Nach einigen Momenten erhob sich die leise und eindringliche Stimme des Meisters.
"Ich grüße dich, Alan. Ich bin erfreut, zu sehen, daß deine Kräfte angewachsen sind. Du hast noch viel zu lernen. Mit der Kraft der Gewalt hat man keine Chance gegen die Kraft des Friedens."
Alan fühlte sich getroffen. Er wußte genau, was der Meister meinte. Sein Ziel war es, mit reiner Kraft aus Druck und Zwang den Blick des Meisters, der nur aus Friede und Liebe bestand, zu besiegen. Langsam senkte er den Kopf.
Der Meister nickte leicht. "Was du noch zu lernen hast, kann dir nur das Leben lehren. Ich habe dir alles gezeigt, was ich kann. Gehe nun, und töte den Drachen, denn der Drache ist hungrig. Er wird wieder Schafe reißen."
Die Worte des Dracon waren für Alan wie ein Schlag in die Magengrube. Einerseits war er glücklich. Die Worte hatten ihn vom Schüler zum Wissenden erhoben. Er würde die Schule verlassen, das erste Mal frei die Welt erforschen. Sicher, es hatte Reisen gegeben, um Kräuter zu sammeln und Vorräte zu kaufen. Er war vertraut mit dem Leben und den Sitten außerhalb der Schule, aber er hatte es nie gelebt. Und nun, im 25. Jahr seines Lebens, sollte er die Welt kennenlernen. Viele in der Schule waren 30 oder älter, ohne diese Ehre zu erfahren. Doch über all dieser Freude lag ein dunkler Schatten. Er sollte einen Drachen töten. Als Kind hatte er einen Drachen über die Schule hinwegsegeln sehen, und er hatte seine Macht und Schönheit gespürt, das alte Wissen. Seitdem hatte er sich in jedem freien Moment darum bemüht, mehr über diese Wesen zu erfahren. Sie waren sein Anker gewesen in all den harten Prüfungen, die er zu bestehen hatte. Und nun sollte er einen von ihnen töten. Ein hoher Preis für die Freiheit.
"Warum?" fragte er den alten Mann. "Hat nicht auch der Drache ein Recht, zu Leben?" Er selbst war überrascht von seiner Kühnheit, dem Meister zu widersprechen. Der Meister war nicht minder erstaunt, obwohl er es gut zu verbergen wußte. Alan jedoch hatte gelernt, hinter die Maske zu schauen. Er hörte das leichte Zittern in der Stimme, als ihm der Meister erwiderte: "Er wird Schafe reißen, und vielleicht auch Menschen, die auch das Recht haben, zu leben."
Der Schüler verdrängte seine Ehrfurcht, nein, Angst vor dem Meister.
"Es ist das Gesetz der Natur, zu töten, um zu fressen und zu überleben."
Nun war die Überraschung deutlich im Gesicht des Meisters zu sehen. Er war es nicht gewohnt, daß man ihm widersprach. Nicht, daß es unter Strafe verboten wäre, Man tat es einfach nicht, genausowenig, wie man nicht versuchte, ein glühendes Stück Eisen mit bloßen Händen zu berühren. Kaum jemand hatte bisher den Mut dafür aufgebracht.
"Ist es dann nicht auch im Sinne der Natur, wenn du den Drachen tötest, um dein Leben und das Leben anderer zu schützen?"
"Im letzten Jahr hat der Drache keinen Menschen getötet, der die Freiheit hatte, sich ihm zu erwehren. Auch mein Leben wurde nie von ihm bedroht. Welchen Grund habe ich, den Drachen zu töten?"
"Denke an die Opferung der Jungfrau.
In Alan stieg kalte Wut auf. Die Jungfrauen. Jedes Jahr, wenn der Drache aus seinem Winterschlaf erwachte, brachte man eine Jungfrau auf den Drachenberg, band sie dort an eine Pfahl und verließ sie, auf daß sie der Drache holen könne und dafür die Schafe in Ruhe ließe. Es half, der Drache kehrte daraufhin für einen Mond nicht wieder. Aber war es Recht, einen Menschen für Schafe zu opfern? Alan konnte das nicht glauben.
"Würde man den Pfahl samt Jungfrau in den Wald stellen, die Wölfe würden sie reißen. Wirft man sie ins Wasser, werden die Fische sie abnagen. Auf dem Drachenberg holt sie der Drache. Kann man ihn für etwas verfolgen, das jedes Raubtier tun würde?"
Ein lächeln glitt wieder auf das Gesicht des Alten.
"Es freut mich, einen so schnellen und klaren Geist vor mir zu sehen. Auf deine Art hast du Recht. Aber es gibt nie nur eine Wahrheit. Wahr ist auch, daß die Jungfrau in wenigen Tagen an den Pfahl gebunden wird. Wahr ist, daß der Drache kommen und das Mädchen holen wird. Ich kann das nicht ändern. Alles, was ich tun kann, ist, meinen besten Schüler auszuschicken, die Gunst der Götter zu erproben und den Drachen zu töten.Kein anderer außer dir ist bereit für solch eine Tat. Geh nun. tu, was zu tun ist.
Und der junge Mann ging.

Drei Tage waren vergangen, seit Alan von der Schule aufgebrochen war. Man hatte ihm Waffen und ein Pferd gegeben. Er hatte viele Menschen zurückgelassen, die er liebte und vielleicht nie wieder sehen würde. Nicht mehr lange, und er würde vor der Drachenhöhle stehen. Auf der Hand, die das Drachenhorn umklammerte, waren deutlich die Knöchel zu erkennen. Er würde auf dem Horn blasen, der Drache würde erscheinen, und nur einer von ihnen würde den Kampfplatz lebend verlassen. Noch konnte er umkehren. Er wollte den Drachen nicht töten, hatte es nie gewollt. Doch hatte er eine andere Wahl? Würde er zurückkehren, ohne den Tod des Drachens zu verkünden, wäre eine Verbannung aus dem Land noch das wenigste, was er zu befürchten hätte. Nun, das hätte er noch in Kauf genommen. Er hatte keine Angst vor Einsamkeit oder Tod. Aber in wenigen Tagen würde man den Pfahl aufstellen, die Jungfrau daran binden und für ihre Seele beten. Und so würde es sich wiederholen, Jahr für Jahr, in jedem Monat von Winterende bis Winteranfang. Helden würden kommen, schlechter ausgerüstet und trainiert als er, und der Drache würde sie in Stücke reißen. Das Leben des letzten Drachens gegen das Leben vieler Menschen. Alan gab seinem Pferd die Sporen.

Wie ein riesiges Maul ragte die Drachenhöhle vor ihm auf. Es stank entsetzlich nach Schwefel. Alan setzte sein Horn an die Lippen. Noch ein letztes Mal rief seine innere Stimme "Tu es nicht!", doch er war bereit seinem Schicksal entgegenzutreten. Er blies all seine Zweifel in das Horn. Ein hoher und klarer Ton erschallte, warf sich an den Bergen zurück, wieder und wieder, bis er wie in weiter Ferne verklungen war. Alan zog sein Schwert, lockerte seine Wurfdolche und -sterne und fixierte den Eingang.
Zuerst blieb alles ruhig. Alan ließ sich davon nicht täuschen. Er konnte die Macht des Drachens spüren, ganz in seiner Nähe. Er war da. Und er wußte, daß da draußen ein Mensch stand, der ihn töten wollte. Und Alan sollte recht behalten. Es dauerte nicht mehr lange, bis ein tiefen Grollen aus der Öffnung erklang. Das Stampfen der riesigen Füße, das Rauschen der Schuppen des langen Schwanzes, der über den felsigen Boden gezogen wurde, erst fast unhörbar, wurden mit jedem Moment lauter und lauter, bis sich der riesige Kopf des Drachen durch die Öffnung schob. Große, echsenartige gelbe Augen starrten auf Alan. Es war ein goldener Drache. Innerlich fluchte Alan. Konnte es nicht ein grüner oder schwarzer Drache sein? Der erste Drache, den er je gesehen hatte, hatte mit der Farbe der Sonne gestrahlt, genau wie dieser, der nun mit fast nachdenklichen Blick auf ihn herabsah. Vielleicht war es sogar der gleiche Drache...
Ich gr
üß
e Dich, Wissender Alan, erwählter Drachentöter.
Alan hatte gedacht, er wisse alles über die Drachen. Aber diese Worte, die sich in seinem Kopf gebildet hatten, konnten nur von dem Drachen stammen. Telepathie! Seit Jahren versuchte man in der Schule, das Geheimnis der Gedanken zu lösen. Man hatte meditiert, gehungert und sich in allen erdenklichen und unvorstellbaren formen gefoltert,aber nie war eine brauchbare Gedankenübertragung zustandegekommen. Und ausgerechnet das wohl meistgehaßte Geschöpf hatte diese Gabe.
Die Augen des Drachen bewegten sich keinen Millimeter. Er war stehengeblieben. Ein gezielter Wurf mit einem der Dolche auf eines der Augen oder das Zentrum der hohen Stirn, und alles wäre vorbei. In der Höhlenöffnung würde der Drache nicht schnell genug ausweichen können. Doch Alan konnte es nicht tun. Noch nicht.
"Ich bin hier, um dich zu töten."
Wer hat Dich geschickt? Es gibt sicher hunderte in Deinem Volk, die sich um die Ehre gerissen hätten. Warum Du? Du willst mich nicht töten!
Was hatte das zu bedeuten? Konnte der Drache auch noch seine Gedanken lesen?
"Man sagt, ich wäre der einzige, der dafür geeignet wäre."
Fürwahr, Du hast eine Chance. Aber als einziger? Was ist mit Deinen Lehrern? Oder den Meistern selber?
Es mußte so sein. Der Drache las seine Gedanken. Und er hatte recht.
"Ich bin entbehrlich, wenn ich getötet werde. Und wertvoll, wenn ich töte. So war es immer. Und so wird es immer sein. Es ist ein Gesetz im Menschen."
Aber es muß nicht so sein! Gehe in Frieden. Kehre Heim in Deine Welt. Gehe dorthin, wo Dich niemand kennt. Beginne ein neues Leben. Du hast große Werte. Du kannst viel aus Dir machen. DU KANNST LEBEN! Ich weiß, daß Du sterben wirst, wer auch immer in diesem Kampf siegen wird. Du kannst nicht gewinnen, nur Dich selbst verlieren.
Verwirrt starrte Alan in die gelb-goldenen Augen seines Gegners. Was meine er damit, er würde sterben, so oder so? Was konnten diese Augen sehen, das seinen verborgen blieb?
"Ich kann nicht. Es geht nicht um mein Leben. Es geht um die Leben der Jungfrauen, und um das all der jungen Männern, die nach mir kommen werden."
Sag mir, was passiert mit den Jungfrauen, die ich nicht hole?
"Sie werden als Drachenfreund verbrannt."
Und mit den Helden, die mit leeren Händen zurückkehren?
"Sie werden als Drachenfreund ertränkt."
Und danach ? Sofort wird eine neue Jungfrau an den Pfahl gebunden, ein neuer Held zu mir geschickt. Es sterben weniger, wenn ich töte. Wenigstens werden die rituellen Zeiten eingehalten.
Alan schwieg kurz. Auf seine Weise hatte der Drache recht. Bis auf eine Kleinigkeit.
"Wenn du tot bist, werden noch weniger sterben."
Glaubst Du das wirklich? Gebrauche Deinen Verstand. Sollte man mich wirklich töten wollen, so würde man eine Gruppe von Helden schicken, bis auf die Zähne bewaffnet. Erfahrene Krieger, nicht Jünglinge wie Dich, die noch kein Blut des Todes von ihren Klingen gewischt haben. Aber man tut es nicht. Warum?
"Ich weiß es nicht. Sag du es mir."
Wer hält die Macht in seinen Händen?
"Der König."
Falsch. Es ist die Schule, und durch sie die Meister. Wer auch immer ihre Macht gefährdet, wird als Held dem Drachen entgegengeschickt, auf das dieser den Rest erledige. Oder seine Tochter wird an den Pfahl gebunden, sein Sohn zum Helden gemacht. Selbst der König muß sich diesen Ritualen beugen.
Durch Alans Kopf galoppierte ein schwarzer Hengst. Alles, was der Drache sagte, war richtig. Doch das hieße, daß er, Alan, sein Leben für falsche Götter geopfert hätte. Alles in ihm erhob sich gegen diese Vorstellung.
"Wenn ich dich töte, so hätten sie keinen Vorwand mehr in den Ritualen. Wenn du recht hast, wird dadurch ihre Macht zerbrechen."
Ich sehe, Du kennst das Leben nicht. Wenn die alten Rituale sterben, werden neue geboren. Die Meister werden neue Götter erschaffen , um ihnen zu opfern. So ist es immer gewesen, und so wird es vielleicht immer sein. Es ist ein Gesetz im Menschen. Aber...
"NEIN!!!"
Der Drache hatte nicht recht Er durfte nicht recht haben. Sein eigenes Leben durfte nicht für eine Illusion verschwendet sein. Blitzschnell sauste seine Hand an den Gürtel. Das Messer flog schnell und gut, aber der Drache war schneller, als man es nach seinem Äußerem vermutet hätte. Alans Messer verfehlte das Auge und bohrte sich tief seitlich in den Drachenhals. Schwarzes Blut quoll hervor. Der Kampf hatte begonnen.
Die Kräfte des Drachens waren Alan weit überlegen. Aber Alan war flink und der Drache immer noch durch den Höhleneingang behindert. Schlag für Schlag fügte er dem Drachen neue Wunden zu, mit seinem Schild wehrte er den feurigen Atem, so gut es ging, ab. Er spürte, wie seine Kleidung langsam versengte, danach seine Haut an Gesicht und Händen. Die gutgezielten Prankenhiebe des Drachen verfehlten ihn oft nur um Haaresbreite,einer Schlitze ihm den Schildarm auf. Doch Alan kämpfte weiter. Und es war ein Lächeln auf seinen Lippen, ganz so wie daß, welches er beim Meister gehaßt hatte. Und er wußte, er würde siegen. Schnitt um Schnitt zerstörte er die wunderbare goldene Schuppenhaut des Drachen, die sich bald schon schwarz färbte von seinem Blut. Mit der Zeit wurden die Abstände zwischen den Feuerstößen länger, die Bewegungen des Drachen langsamer und schwerfällig. Irgendwann spürte Alan seinen Schildarm nicht mehr. Der Schild entglitt seiner geschwärzten Hand. Er kämpfte weiter, und seine Schläge hatten nun die Kraft der Siegesgewißheit. Ein letztes Mal bäumte sich der Drache auf, dann stürzte er der Länge nach um. Mit letzter Kraft rollte sich Alan zur Seite, um nicht unter dem mächtigen Leib begraben zu werden. Die Erde erzitterte unter dem dumpfen Aufprall.
Seite an Seite lagen dort die beiden Freunde, die das Schicksal zu Todfeinden gemacht hatte.

Irgendwann erwachte Alan wieder. Sein ganzer Körper schien eine einzige große Wunde zu sein. Er hatte den Drachen getötet. Er hatte es wirklich getan. Aber in ihm war es kalt und leer. Keine Freude über den Sieg, kein Bedauern über den Tod des Drachen. Keine Fragen, ob es richtig war, was er getan hatte. Einfach nichts. Mechanisch richtete er sich auf und untersuchte seine Wunden. Der Schnitt am Arm sah schlimm aus, aber es war nur eine Fleischwunde. Er würde ihn behandeln können, und es würde nur eine häßliche lange Narbe zurückbleiben. Eine Zeitlang blieb er liegen, um die Wunde provisorisch mit dem Stoffresten seiner Kleidung zu verbinden, die nicht verbrannt waren, und um Kräfte zu sammeln. Dann stand er auf und ging los, um Kräuter zu suchen. Unterwegs fand er auch sein Pferd. Es war während des Kampfes geflohen und hatte sich mit den Zügeln in tiefhängenden Ästen verfangen. Mit einem Mörser und einigen Zutaten aus der Satteltasche bereitete er aus den Kräutern eine Heilsalbe. Er bestrich seine Brandwunden damit und tat auch etwas auf seine Armwunde. Nach und nach wurden die Schmerzen erträglich.

Wenige Stunden später saß er wieder auf seinem Pferd, in seiner Satteltasche einen Zahn des Drachen, den Rituellen Beweis für seinen Tod. Es war ein sonniger und warmer Tag. Der junge Mann bemerkte es nicht. Stumm ritt er in Richtung Schule. Seine Gedanken arbeiteten mit unglaublicher Klarheit und Kälte. Der Drache hatte Recht behalten. Alan hatte diesen Kampf nicht überleben können. Er war gestorben im gleichen Moment, in dem er dem Drachen den Todesstoß versetzt hatte. Er hatte Alans Welt zerstört. Was blieb, war der Wissende, der ausgezogen war, um den Drachen zu bekämpfen. Doch das Spiel, das man Leben nannte, war noch nicht vorüber. Er würde zur Schule zurückkehren. Wenn der Drache auch nur in diesem Punkt Recht hatte, und tief im inneren wußte er, das es so war, mußte ihn der Meister zum rituellen Kampf herausfordern, wenn er ihn wirklich loswerden wollte. Und dann war es für ihn, den Wissenden, an der Zeit, den wahren Drachen zu töten. Er wußte nicht, was danach werden würde. Vielleicht würde er Alan wiederfinden, aber daran konnte er noch nicht glauben. Er könnte versuchen, dem Rat des Drachen zu folgen und irgendwo eine neue Existenz aufbauen, doch er hatte das Gefühl, daß es dafür zu spät war. Gleichmäßig trabte sein Roß durch die Schönheit des jungen Tages. Nein, er, der einst Alan war, kannte nun seinen neuen Weg. Er würde Drachen jagen. Nicht die Drachen, die mit einer Eleganz, die ihre Körpergröße Lüge strafte, durch die Lüfte glitten. Es waren andere Drachen, die er suchen würde.
Oft hatte er sich gefragt, warum die Meister den alten Namen "Dracon" trugen, der gleichbedeutend mit "Drache" war. Nun wußte er es. Und er kannte auch den Namen, dem man ihm geben würde, wenn seine Zeit reif war. "Etat Dracon". Drachentöter.

© Stefan Brinkmann,
www.nachtpoet.de, stefan@nachtpoet.de

 

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