Die Prinzessin, der Drache und der Prinz
(Mit freundlicher Unterstützung von Prolog und Epilog)


Prolog:

Es war einmal...
Wirklich?
Geschichten wiederholen sich. Was immer auch passiert, es geschah schon zuvor. Oder wird wieder geschehen. Egal, wie sehr sich die Menschen bemühen, aus der Geschichte zu lernen, im Endeffekt erzählen sie sie doch nur wieder neu. Neue Menschen, die alte Geschichte. Es ist niemals nur einmal. Es gibt Regeln. Und doch...
Manchmal bricht eine Geschichte aus. Die Gestalten, durch die sie erzählt wird, sind so anders, daß auch die Geschichte neu geboren wird...
Es war einmal...
... denn irgendwo nimmt jede Geschichte ihren Anfang.


Die Prinzessin:

Der Kamm glitt sanft durch das golden glänzende Haar. Wieder und wieder zerteilte er den Fluß aus Licht in Dutzend einzelne Strahlen.
"Du mußt furchtbar unglücklich sein. Einfach so verheiratet werden. Also nein, ich würde mich ja mit Händen und Füßen wehren."
Nanny ließ den Kamm aus Schwarzholz wieder und wieder durch das Haar der Prinzessin gleiten. Vessena spürte, wie die wissenden Hände ihrer Amme kunstvoll ihr Haar richteten.
Die Prinzessin mußte lächeln. Für Nanny stand fest, daß sie den Prinzen hassen mußte, nur, weil er ihr zugeteilt wurde. Die Amme war hoffnungslos romantisch.
"Ach Nanny, so verstehe doch. Ich liebe Jestan. Ich will nur zu gerne seine Frau werden."
Die Hand der Amme stockte.
"Aber ihr m
üß
t ihn Heiraten. Ich meine, wo liegt der Sinn darin, jemanden zu zwingen, etwas zu tun, was derjenige tun will."
Vessena schüttelte vorsichtig den Kopf, um Nannys Kunstwerk nicht im Ansatz zu zerstören.
"Du willst es nicht begreifen. Ich mochte ihn vom ersten Moment an. Er ist nahezu perfekt, gerade so fehlerhaft, um noch menschlich zu bleiben. Und ich bin seine Auserwählte. Wir hätten auch geheiratet, wenn keiner uns dazu gezwungen hätte."
Seit dem Tod ihres Vaters war Unruhe ausgebrochen in Drachenhorst. Die benachbarten Länder übten Druck auf das Geschwächte Königreich aus, immer mehr Banden zogen plündernd durch die Dörfer. Die Königlichen Soldaten taten ihr möglichstes, aber Königliche Soldaten ohne König entbehrten den gewissen Zauber, den es bedurfte, eine zahlenmäßig unüberwindbar überlegene Masse zu bändigen. Vessena war die einzige Tochter der Königin und nun endlich im heiratsfähigen Alter. Der hohe Rat hatte natürlich schon lange einen passenden Thronfolger auserkoren, den Prinzen von Illumia. Mit Illumina als Bündnispartner geriet Ratio, ihr ärgster Gegner, in die Zwickmühle. Politisch also eine perfekte Verbindung.
"Ich meine ja nur, Michos, er ist ein schöner und aufregender Mann, stark, mutig, geheimnisvoll."
"Michos ist ein Stalljunge. Er ist ein Muskelpaket, zu dumm, um sich zu fürchten und sein Vokabular reicht einfach nicht über ein Guten Morgen hinaus."
"Hach, die jungen Dinger. Keinen Sinn mehr für Romantik." Nanny zog vielleicht etwas kräftiger als nötig an Vessenas Haaren. "Wäre es nicht aufregend, von einem starken Mann in den Armen getragen in den Sonnenuntergang zu reiten?"
Aufregend... ja, sie war aufgeregt gewesen vor ihrem ersten Treffen. Der Gedanke, verheiratet zu werden, hatte sie genauso schockiert wie Nanny. Doch könnte die Amme nur durch ihre Augen sehen, in diesem ersten Moment, als sie ihm gegenüber stand. Ihre Blicke trafen sich, verfingen sich ineinander, konnten sich kaum wieder lösen. Sie hatte das Gefühl gehabt, er könne bis tief in ihre Seele blicken. Manchmal machte ihr das Angst, doch er verstand es wie kein anderer, ihr Wärme und Geborgenheit, Verständnis für ihre Träume, ihre Welt zu geben. Er wußte, wie es war, anders zu sein, eine Herrscherfigur, ein unerreichbarer Stern.
Es hatte alle überrascht, daß sich die beiden jungen Leute wirklich ineinander verliebten. Und das verunsicherte Vessena am meisten. So selbstsicher sie Nanny auch widersprechen mochte, irgendwo nagte auch in ihr dieser Zweifel. Wie konnte sie sich in ihn verlieben, wenn doch alle anderen das für so unmöglich hielten? Doch in seiner Nähe waren all diese Zweifel wie weggeblasen. Da war nur noch er, und er vermochte die Welt zu füllen.
Michos dagegen...
"Ein Mann, der nach Pferdemist und Schweiß stinkt? Danke nein."
Nanny seufzte. "Hach, keinen Sinn für den Duft der großen weiten Welt."
"Oh Nanny!"
"Ist ja schon gut. Deine alte dumme Amme ist ruhig. Und dein Haar fertig. Auf zum letzten Essen in Freiheit. Die Königin erwartet dich schon."

Das Essen war eine einzige Tortur. Die Königin versuchte, ganz Mutter zu sein, und zum tausendsten mal fragte sie nach, ob denn auch alles vorbereitet sei, das Kleid, es passe ihr doch, oder, und das Festmahl, sie habe sich selbst darum gekümmert, aber trotzdem...
Vessena hörte nur mit halben Ohr zu. Im großen und ganzen wiederholte sich dieser Monolog ihrer Mutter nun schon die letzten drei Wochen. Deshalb wurde sie auch erst hellhörig, als die Königin unvermittelt verstummte.
Sie blickte von ihrem goldenen Teller auf und sah die Augen ihrer Mutter sorgenvoll auf ihr ruhen. Sie glänzten, ganz so, als könne sie nur schwer die Tränen unterdrücken.
"Schatz, Liebes, ich... es tut mir so leid. Ich weiß, wie schwer das für dich sein muß. Und wie sehr du dich bemühst, so zu tun, als wärest du wirklich in ihn verliebt..."
Vessena sprang wie von der Terantel gestochen auf. Laut polternd krachte der mit feinen Schnitzereien verzierte Stuhl auf das blank geputzte Parkett, schnitt der Königin das Wort ab.
In die nun folgende Stille schrie Vessena ihren ganzen Frust hinaus. "Ich liebe ihn, bei allen Göttern. Ist das denn so schwer zu verstehen? Ich liebe ihn."
Dann stürmte sie durch die große Flügeltür, an den verdutzten Wachen vorbei und hinaus in den großen Garten. Warum begriff das denn keiner? Warum glaubte ihr niemand? Warum konnte sie es manchmal selbst nicht...
Ein riesiger Schatten schob sich vor den Mond, Zischen wie von gigantischen Schwingen zerschnitt die Stille. Zwei wirklich große Krallen legten sich um die Arme der Prinzessin und hoben sie in halsbrecherischer Geschwindigkeit in die Höhe. Der Schock, die unvermittelte Geschwindigkeit und der bestialische Gestank ließen Vessena genau das tun, was jede Prinzessin in dieser Situation tun würde. Sie fiel in Ohnmacht.


Der Drache:

Ein neuer Morgen brach an, die ersten Sonnenstrahlen krochen vorsichtig in die dunkle Höhle, tasteten sich Schritt für Schritt über die groben Wände glitten, über golden glänzende Schuppen, trafen auf zwei Untertassengroße Augenlider.
Der Drache erwachte. So gut hatte er schon seit Jahrzehnten nicht mehr geschlafen. Er streckte sich in seiner hausüberragenden Größe aus, schlug sich den Kopf an der Höhlendecke an und zischte leicht verärgert. Aber von so einer Kleinigkeit sich den ersten Morgen in seinem neuen Heim verderben zu lassen, das war nicht drin.
Ein greller Schrei ließ ihn hoch schrecken und sich den Kopf ein zweites mal anschlagen. Verdutzt schüttelte er die tanzenden Sterne aus seinem Gesichtsfeld und reckte seinen langen Hals in Richtung der Quelle.
In die hinterste Ecke der Hohle gedrückt, ganz so, als wolle sie mit dem Stein verschmelzen, lag ein junges Mädchen, in farbenfrohe Stoffhüllen gewickelt, und starrte zitternd auf ihren Gastgeber.
Oh nein. Nicht schon wieder.
Der Gesichtsausdruck des Mädchens veränderte sich von ängstlich zu verdutzt. Menschen waren es nicht gewohnt, Stimmen in ihrem Kopf zu hören. Und wenn doch, wurden sie in Häuser eingesperrt und als eine Gefahr für die Gesellschaft bezeichnet.
Langsam schob er seinen Kopf weiter in Richtung der Menschin. Tief sogen die beiden riesigen Nüstern den Duft des Mädchens ein.
Eine Jungfrau! Oh bitte, keine Jungfrau. Sag mir, daß du nicht real bist.
"W-was?"
Jetzt sag bloß nicht, daß du auch noch eine Prinzessin bist.
Die Menschin rutschte noch weiter in ihre Ecke und schluckte zweimal. "Die Soldaten werden mich schon suchen. Sie werden mich retten. Eine ganze Armee wird hier aufrücken und..."
Der Kopf des Drachen schnellte nach oben, sein ganzer Körper bäumte sich auf. Zum dritten mal schlug er sich den Kopf an der Decke an. Eine blau lodernde Flamme schoß aus seinen Nüstern und hinterließ einen schwarzen Rußstreifen auf der grauen Höhlendecke.
Oh verd... ich dachte, es hätte endlich aufgehört. Eine neue Gegend, nette Nachbarn, keine Ritter, die einem andauernd an die Schuppen wollen. Drachenhorst, das klang so idyllisch. Und was passiert? In der allerersten Nacht muß ich wieder schlaffliegen und eine jungfräuliche Prinzessin entführen.
"Oh bitte, friß mich nicht. Es war nicht so gemeint. Ich... ich schmecke bestimmt schrecklich und heute soll ich doch heiraten und... und... "
Nein. Bitte. Nicht wei...
Die Prinzessin brach in hemmungsloses Schluchzen aus.
...nen. Schwefel. Meine Mutter hatte mich immer schon gewarnt. "Junge, laß dich nicht mit Jungfrauen ein. Hysterisch, viel zu nahe am Wasser gebaut, schmecken versalzen und liegen schwer im Magen. Und kaum hast du die letzten Stoffetzen von den viel zu üppigen Stoffverpackungen aus den Zähnen entfernt, steht irgend so ein Held da und will sie wieder aus deinem Bauch schneiden. Vor allem die Prinzessinnen sind da ganz gefährlich, denn deren Helden haben meistens sogar Erfolg dabei." Und was mache ich? Schlaffliegen. Prinzessinnen im Traumflug entführen. Dabei mag ich Menschenfleisch nicht einmal. Zu fad, wenn du mich fragst. Schafe sind viel würziger. Und mit diesen Pranken tust du dich echt schwer, einen Gewürzstreuer zu halten...
"HÖRT AUF!!!"
Die Prinzessin hatte ihre beiden Hände fest gegen die Ohren gepreßt. Eine nutzlose Geste, aber so furchtbar menschlich. Die Tränen rannen immer noch ihre bleichen Wangen hinab, aber wenigstens hatte sie aufgehört zu schluchzen.
Überrascht wich der Drache zwei Schritte zurück und setzte sich rücklings in seinen Goldschatz, der sich an der hinteren Wand der Höhle angehäuft hatte. Es war eine höllische Arbeit gewesen, das ganze Inventar aus seiner alten Höhle hierher zu schleppen. Drachenklauen taten sich schwer beim aufklauben von Goldmünzen.
Tschuldigung. Ich rede etwas viel, wenn ich nervös bin. Hör zu. Das alles ist ein schreckliches Mißverständnis. Ich wollte dich nicht entführen. Ich bin neu in dieser Gegend, und es ist sicher nicht meine Absicht, es mir gleich mit meinen Nachbarn zu verscherzen. Hör zu, Menschin...
"Vessena" erwiderte Vessena. Sie schniefte, und suchte in den Falten ihres Gewandes nach einem Taschentuch.
Vessena. Gut. Also, warum tun wir nicht einfach so, als wäre das alles gar nicht passiert. Ich fliege los, reiße ein paar Schafe, und wenn ich wiederkomme, bist du verschwunden. Du sagst keinem was, und ich auch nicht.
Ihr Taschentuch war verschwunden. Also zweckentfremdete sie den Saum ihres Kleides und schneuzte sich kräftig.
Äh, ja. Gut. Ich bin dann weg.
Der Drache machte kehrt und verfehlte die Prinzessin dabei nur um Haaresbreite mit seinem mächtigen Schweif. Gedämpft fluchend stampfte er aus der Höhle. Eine Prinzessin! Warum passierten immer ihm solche Sachen. Dabei gefiel ihm die neue Höhle wirklich. Wäre doch zu schade, wenn er wieder Ausfliegen müßte. Oh, Schwefel. Warum immer er...

Der Tag hatte sich gelohnt. Zwei saftige Schafe hingen tot in seinen Klauen. Ratiosche Schafe, selbstredend. Der Drache hatte Drachenhorst lange Zeit beobachtet und bemerkt, daß zwischen ihm und Ratio nicht gerade Friede und Eintracht herrschte. Seiner neuen Heimat ein wenig unter die Arme zu greifen und sich dabei selbst den Magen vollzuschlagen, daß war geradezu genial. Das kleine Mißgeschick der letzten Nacht war schon fast vergessen. Die Prinzessin, wie war doch gleich ihr Name, Vessena, sie würde sicher schon nach Hause geeilt sein. Mit etwas Glück würde die ganze Geschichte in der Hektik der Hochzeitsvorbereitungen untergehen. Menschen waren ja so leicht abzulenken.
Mit donnernden Flügelschlägen landete er am Höhlenrand. Oh, wie freute er sich auf die gut durchgerösteten Schafsschenkel...
Ein Geräusch zwischen Grunzen und Sägen drang ihm entgegen.
Wildscheine klingen anders...
Mit einem gar nicht mehr so guten Gefühl betrat der Drache seine Höhle.
An der Wand lag die Prinzessin, in sich zusammengerollt, aber sonst mehr oder minder so, wie er sie zurückgelassen hatte.
Du bist ja immer noch da.
Die Gedanken des Drachen waren viel zu verdutzt, um ärgerlich zu klingen.
Mit einem wolligen Seufzen entfaltete sich die Prinzessin.
"Oh Nanny, ich hatte einen absolut verrückten Traum. Ich stritt mich mit meiner Mutter, rannte hinaus in den Garten, und ein schlafwandelnder Drache entführte mich..."
Sie schlug die Augen auf.
Zwei riesige rote Echsenaugen starrten ich entgegen, nur wenige Handbreit entfernt.
"AAAAAAAHHHHhh"
Der Drachenkopf sauste gen Decke, bremste aber diesmal kurz davor ab.
Vorsichtig schielte er nach oben.
Scheint so, als gewöhne ich mich langam ein dachte er mehr zu sich selbst. Dann richtete er seine Gedanken wieder an die Prinzessin.
Was zum Teufel machst du hier. Und laß dieses Geschrei. Meine Nerven sind nicht die besten.
Vessena wischte sich die Augen, als hinge ihr Leben davon ab. Als der Drache davon nicht verschwand, entschied sie, daß es wohl am besten wäre, zu antworten.
"Ich... ich meine, ihr habt mich doch entführt."
Ja, ja, das weiß ich selber. Ich seh schon, das wird mir noch länger nachhängen. Aber ich meine, warum zur Lava bist du immer noch hier?
Die Prinzessin streckte sich vorsichtig. Ein paar Gelenke knackten entrüstet. Königliche Betten und Steinböden hatten nicht viel gemeinsam.
"Ich muß wohl eingeschlafen sein..."
EINGESCHLAFEN!
Die Prinzessin zucke zusammen ob der Heftigkeit der Gedanken.
Etwas sanfter fuhr der Drache fort
Eingeschlafen. Sie verschläft ihre Hochzeit. Man wird dich schon im ganzen Reich suchen. Oh Schwefel.
"Ja. Und wenn sie mich finden, dann wird es dir schlecht ergehen, du Monster. Sie werden..."
... mit Glühender Rüstung und glänzenden Lanzen auftauchen, die Prinzessin töten und den Drachen retten. Oder andersherum. Ich kenne die Geschichte. Hab selbst gut ein Dutzend mal eine Hauptrolle darin gespielt. Schlaffliegen kann einen ehrbaren Drachen ziemlich in Verruf bringen. Wenn Du mit einer jungfräulichen Prinzessin in den Klauen erwischt wirst, lassen sie dir nicht mal den Hauch einer Chance, die ganze Sache zu erklären. Gut, ich konnte bisher immer mit heilen Schuppen entkommen. Aber ich muß immer Glück haben, die hingegen nur einmal. Und das dauernde Umziehen kostet mir den letzten Nerv.
Der Drache machte auf der Stelle kehrt, ließ sich auf seinen Goldberg fallen, legte den Kopf auf die Pranken und schmollte die Prinzessin an.
Ob dieses Bildes konnte sich Vessena ein lächeln nicht verkneifen. Der Drache sah einfach zu drollig aus.
Ja, amüsier dich nur. Ich stecke hier in einer echten Krise, und du bist ein nicht unwesentlicher Teil des ganzen.
Die Prinzessin zuckte mir den Schultern. "Tut mir leid. Ich werde bestimmt nie wieder in den Garten laufen, wenn schlaffliegende Drachen tief fliegen."
Der Drache streckte eine Pranke aus und zog das nächstliegende Schaf an sich heran. Dann begann er, lustlos eine kleine Flamme aus seinem Rachen um es herumzüngeln zu lassen.
"Du hast Schafe gerissen?"
Die Prinzessin klang entsetzt.
Willst du mit ihnen tauschen? Außerdem, warum heißt es immer "Die armen Schafe, der böse Drache hat sie gerissen."? Warum höre ich nie "Der Arme Drache, die bösen Ritter haben ihn niedergemetzelt." Ich meine, euereins wäre auch nicht glücklich darüber, die Hauptrolle im Stück "Der Aufstand der Weidetiere" mitzuspielen.
Der Raum füllte sich mit dem bestialischen Gestank von verbrannter Schafwolle.
"Hör sofort auf damit. Willst du, daß ich ersticke?"
Wie kommt es, daß du mir andauernd Befehle gibst. Ich meine, wer ist hier in der stärkeren Position? meckerte der Drache
Aber er ließ seine Flamme verlöschen.
Die Prinzessin war indes aufgestanden und durchkramte den Berg aus Schätzen, bis sie ein juwelenbesetztes Kurzschwert fand. Sie zog es schwungvoll aus seiner Schneide.
He, mach keine Dummheiten!
Den Drachen ignorierend, ging sie auf das angekohlte Schaf zu, hockte sich daneben und begann, es fachmännisch zu häuten.
Äh.
Der Drache schüttelte ungläubig den Kopf.
Ich wußte nicht, daß das zur Grundausbildung einer Prinzessin gehört.
"Tut es auch nicht. Aber seit dem Tod meines Vaters hatte die Königin noch weniger Zeit, sich um mich zu kümmern, und Nanny hat ihre eigene Art, die Dinge zu sehen. Sie denkt, jede Frau sollte Kochen, putzen und mit dem Schwert umgehen können. Prinzessin oder Dienstmagd spielt da eher eine untergeordnete Rolle."
Ah ja.
Langsam begann der Drache sich echte sorgen zu machen. Dies war keine gewöhnliche Prinzessin. Irgend etwas sagte ihm, daß es ihm mehr Ärger ersparen würde, wenn er sie fraß. Das dumme war nur, er fand sie irgendwie sympathisch, für einen Menschen.
Die Prinzessin häutete die beiden Schafe. Während der Drache sie dann gut durch briet, fand sie einen silbernes Gewürzset, aufgefüllt, zwischen den Kelchen, Schwertern und Münzen. Es wurde zum besten Mahl des Drachen seit seinem Überfallauf ein Lager irgendwo im Düsterwald. Er träumte immer noch manchmal von dem Spanferkel.
Beide schwiegen während der ganzen Zeit.
Als von den Schafen nur noch ein Haufen Knochen übrig war, richtete der Drache noch einmal seine Gedanken an die Prinzessin.
Also gut. Ich lege mich jetzt schlafen. Zwei Regeln. Versuche nicht, mit mir das gleiche zu tun wie mit den Schafen. Und wenn ich morgen aufwache, bist du verschwunden.
Die Prinzessin sammelte die Knochen auf und schmiß sie aus dem Höhleneingang. Der Drache glaubte, ein Nicken zu erkennen.
Gute Nacht.
Er drehte sich um und versuchte einzuschlafen. Es dauerte sehr lange.

Noch bevor er die Augen aufmachte, wußte er, was er sehen würde.
Er öffnete die Augen
Er sah die Prinzessin.
Er zischte frustriert.
Nein, sag es mir nicht. Du fürchtest Dich im dunkeln? Du hast dein Wanderschuhe vergessen? Du willst mich in den Untergang stürzen?
Die Prinzessin hatte nicht viel geschlafen diese Nacht. Sie war an der Höhlenwand gesessen und hatte dem Drachen beim Schlafen zugesehen. Eine Menge Dinge waren ihr durch den Kopf gegangen. Es war schon faszinierend, woran man alles dachte, wenn man neben einem Drachen wache hielt.
"Du hättest mich bestimmt nicht gehen lassen. Das war doch nur ein Trick von dir, um mich guten Gewissens Fressen zu können. Auf der Flucht zerbissen, oder so."
Der Drache schüttelte in stummer Verzweiflung sein Haupt.
Ich glaub das einfach nicht. Ist das denn so schwer zu verstehen? Du bist frei.
"Das glaube ich dir nicht. Drachen entführen Jungfrauen nicht, um sie dann wieder frei zu lassen. Es gibt Regeln. Alle wissen das..."
Ihr Verstand holte die Strecke auf, die ihre Zunge vorgelegt hatte.
"Oh, Mist. Jestan. Er wird denken, daß alle anderen recht haben, daß ich ihn gar nicht liebe, daß ich fortgelaufen bin, um ihn nicht zu heiraten."
Die Worte hingen schwer in der Luft.
Schlag mir den Kopf ab, aber...
Der Drache dachte an das Kurzschwert und die Schafe.
Schlechtes Bild. Was ich sagen wollte, kann es sein, daß hier gewisse Parallelen vorhanden sind?
Doch die Prinzessin hörte ihm offensichtlich nicht zu.
"Jestan... Bei allen Göttern! Ich habe nicht an ihn gedacht, seit... ich weiß nicht seit wann. Ich habe heute Nacht an alles mögliche gedacht. Aber... wieso...?"
Du hörst mir nicht zufällig zu? Ich versuche hier, mit dir zu kommunizieren.
Die Prinzessin fuhr herum.
"Ach, laß mich doch in ruhe. Das ist alles nur deine Schuld. Wenn du mich nicht entführt hättest, wäre ich jetzt längst glücklich verheiratet. Und nun... und nun..."
Eine einzelne Träne kullerte ihre Wange hinab.
Hör zu, ich wollte nur noch mal klarmachen, daß du...
"Hast du nicht irgendwelche Schafe zu reißen oder so? Ich versuche hier ernsthaft, über mein Leben nachzudenken!"
... schon gut. Bin schon weg. Und du hoffentlich auch, wenn ich wiederkomme. Das Schloß liegt westlich von hier. Wenn du immer auf den großen Berg zuhältst...
"Ich bin in der Gegend aufgewachsen." Die Stimme der Prinzessin glich dem Fauchen einer Wildkatze mit Magenverstimmung. "Ich kenne die Drachenhöhlen. Hab hier als Kind oft gespielt. Also behandle mich nicht wie eine Idiotin."
Der Drache öffnete einen geistigen Kanal, um etwas zu erwidern, besann sich dann jedoch eines besseren und schloß ihn wieder. Betont lässig schritt er aus der Höhle.
Unglaublich. Ich lasse mich von einer launischen Prinzessin, die mit Schwertern und Worten gleichermaßen zu schneiden weiß, aus meiner eigenen Höhle vertreiben. Bin ich ein Drache oder eine Libelle? Und wehe, jemand wagt, darauf zu antworten.
Er stieß sich kräftig ab und entschwebte in den Sonnenaufgang. Es war schon seltsam, mit Menschen und Goldmünzen. Da hatte er solch mächtige Pranken, und doch vermochte er sie nicht zu packen. Er bekam dieses Zwischenmenschliche einfach nicht in den Griff.

Zwei Schafe hingen schlaff in seinen Pranken, aber das Erbeuten hatte heute irgendwie keinen Spaß gemacht. Er war nicht ganz bei der Sache gewesen, und irgendwie sah er die ganze Zeit die zwei vorwurfsvollen Augen der Prinzessin vor sich.
Die Prinzessin... wie sollte er sie nur loswerden. Er hatte daran gedacht, sie eingenklauig wieder vor dem Schloß abzusetzen, aber bei der Aufruhe, die dort sicher schon herrschte, würde das einen Empfang mit einem waren Festregen an Pfeilen und Bolzen bedeuten. Wie immer würden die Menschen den Sachverhalt gegen ihn deuten und ihn bis ans Ende der Welt (oder zumindest der Staatsgrenze, sollten sich doch die Nachbarn mit dem Problem herumschlagen) verfolgen. Aber vielleicht machte er sich auch nur selbst verrückt. Sie war sicher schon weg, hatte geheiratet, ihn vergessen und führte ein Leben glücklich und zufrieden bis zum unvermeidlichen Ende.
Etwas unsanft setzte er vor seiner Höhle auf.
Er lauschte.
Kein Laut war zu vernehmen.
Sie wird doch nicht wirklich...
Vorsichtig tapste er in die Höhle. Er erwischte sich dabei, sich selbst als Eindringling in seinem Reich zu fühlen. Er straffte seine Schultern, legte die Flügel korrekt an und schritt weiter.
Seine Augen brauchten einen Moment, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Oh Schwefel.
Sein Blick fiel auf seinen Schlafplatz. Oder besser, auf die Stelle, an der sich vor ein paar Stunden noch sein Schlafplatz befunden hatte.
Wo sich ehemals ein großer Haufen Gold, Silber und Juwelen angehäuft hatte, standen nun, peinlich genau sortiert und in gleich hohe Türme aufgeschichtet, seine Münzen, wie eine Armee vor der Schlacht. Seine Juwelen waren nach Art und Größe sortiert, die Kronen, Schwerter und andere Artefakte im Raum verteilt, an die Wände gehängt und in Felsvorsprüngen postiert. Ein roter Samtteppich bedeckte den Boden. Der Blutfleck, einst ein mächtiger König, der sich mit des Drachen Vater angelegt hatte, war mit einer silbernen Kleiderbürste, und Seife aus einer goldenen Schatulle provisorisch beseitigt worden. Die Höhle sah fast wohnlich aus. Aus der Sicht eines Menschen. In den Augen des Drachen war das reiner Vandalismus.
Was zur Lava hast du dir dabei gedacht? Das ist MEINE Höhle, MEIN Schatz und MEIN Blutfleck. Es hat Stunden gedauert, daraus einen bequemen Schlafplatz...
Ein kleines Detail klinkte sich in sein Gehirn ein. Etwas fehlte.
Prinzessin? Vessena! Wo versteckst du dich?
Aber nachdem der große Schatzhaufen verschwunden war, gab es keine Möglichkeit mehr, sich in der Höhle effizient zu verstecken. Der Drache schnüffelte. Keine Spur von Menschenduft. Sie war verschwunden.
Der Drache wirbelte herum und raste zum Eingang. Er mußte sie finden. Sie konnte doch nicht einfach...
Er bremste so stark, daß sich Gesteinsbrocken aus dem Boden lösten und noch ein paar Meter weiterpolterten.
Heiliger Schwefel, was mache ich hier, Gut, sie hat deine Höhle verwüstet, aber wenigstens ist sie weg. Auf und davon. Mit etwas Glück siehst du sie nie wieder.
Langsam schlurfte er zurück in die Höhle. Die leichte Traurigkeit, die ihn befiel, wurde verwarnt und in die Ecke geschickt. Einen Menschen vermissen. Soweit käme es noch. Gut, es war schon etwas einsam gewesen die letzten paar Jahrzehnte. Es gab nicht mehr so viele Drachen in diesen breiten, und die Kommunikation mit Menschen beschränkte sich bisher auf ein "Aaaaahhhhrg, ein Drache. Schnappt euch alles, was nicht niet- und feuerfest ist." Und jede Menge Pfeile, Bolzen und Klingen. Aber so verzweifelt, daß er einen Menschen vermissen...
"Du bist schon da? Ich hatte dich etwas später erwartet."
Der Drache erstarrte.
Jetzt höre ich schon Stimmen.
"Ich habe Pilze für die Schafe gesammelt. Gibt ihnen ein besseres Aroma. Und entschuldige wegen heute Morgen."
Langsam wendete er seinen Kopf.
Die Prinzessin stand im Höhleneingang, mit einem silbernes Haarnetz voller Pilze. Aus den Tiefen seines Schatzberges hatte sie ein goldenes Kleid gefischt, daß ihr wirklich gut stand. Mit unschuldigen großen Augen starrte sie den Drachen an.
"Stimmt etwas nicht?"
Nein, alles in Ordnung. Ich wollte schon lange eine Innenarchitektin damit beauftragen, meine Höhle zu renovieren. Bisher hab ich sie dummerweise immer aufgefressen, bevor sie größeren Schaden anrichten konnten.
Vessena sah etwas verwirrt aus.
"Gefällt es dir nicht?"
Ob es mir gefällt? Ich ha...
Die Augen der Prinzessin wurden feucht.
"Es hat den ganzen Nachmittag gedauert, weißt du. Den Blutfleck hab ich noch nicht ganz rausbekommen, aber... aber..."
Tränen. Oh, wie er tränen haßte.
...be noch nie eine schöner eingerichtete Drachenhöhle gesehen. Aus Menschlicher Sicht, fügte er stumm dazu und haßte sich selbst dafür. Libelle war wohl doch die richtige Antwort.
Aber warum bist du immer noch hier. Und erzähle mir nicht wieder böser-Drache-will-mich-fressen-wenn-ich-weglaufe-Geschichte. Im Umkreis von zehn Längen wachsen keine Pilze.
Die Prinzessin blickte betroffen auf ihre Füße.
"Na ja, ich wollte ja, aber, was wird Jestan denken? Ich meine, warum sollte er eine Frau heiraten, die nicht mal gut genug war für einen Drachen?"
Eine ziemlich heiße Stichflamme arbeitete sich den Weg durch seine Feuerröhre. Er schluckte sie runter.
Du mußt es ihm ja nicht erzählen.
"Aber, dann denkt er doch, ich wäre vor der Hochzeit weggelaufen. Außerdem will ich ihn nicht belügen."
Na toll. Willst du hier vielleicht einziehen? Kennst du denn keine Gnade? Es kann doch nicht so schwer..:
Ein furchtbares Tröten war von außerhalb der Höhle zu hören.
Da hast du es. Ein Drachenlockhorn. Wenn ich den Erfinder jemals in die Finger bekomme... Der einzige Grund, warum das Ding Drachen anlockt, ist die Tatsache, daß Drachenhöhlen meist nur einen Ausgang haben.
Der Drache stapfte an der Prinzessin vorbei und spähte vorsichtig aus dem Höhleneingang. Ein Bolzen bohrte sich nur wenige Zentimeter neben seinem Kopf in den Stein.
Oh, Vessena, ich glaube, da ist Besuch für dich.




Der Prinz:

"LIEBLICHE PRINZESSIN; ICH BIN GEKOMMEN; UM DICH ZU BEKÄMPFEN UND DEN DRACHEN ZU RET... nein, das war's nicht. LIEBLICHE PRINZESSIN; ICH BIN GEKOMMEN; UM DICH ZU RETTEN UND DEN DRACHEN ZU BEKÄMPFEN wenn auch nicht in der Reihenfolge. DRACHE; ZEIGE DICH; DAMIT ICH DIR DEN KOPF ABSCHLAGEN KANN FÜR DIE SCHÄNDLICHE TAT; DIE DU BEGANGEN HAST:"
Verzweifelt versuchte Jestan, seine Armbrust nachzuladen. Er hatte für Schußwaffen nie viel übrig gehabt. Irgendwie empfand er es als unsportlich, Gegner, die nur mit einem Schwert bewaffnet waren, vom hohen Roß aus niederzuschießen. Außerdem schnalzten die Bogensehnen immer so schmerzhaft auf seine Finger.
Gut, daß einer der Diener diesen großen Schatten bemerkt hatte, der kurz vor dem Verschwinden der Prinzessin den Mond verdunkelt hatte. Und in Illumina war erst vor kurzem ein Drache vertrieben worden. Vielleicht, hatte er sich gesagt, gibt es da ja einen Zusammenhang.
Die Armbrustsehne weigerte sich beharrlich, seinem Rucken und Zerren nachzugeben. Außerdem tänzelte sein Pferd unruhig hin und her, was die ganze Sache nicht gerade einfacher machte.
Frustriert warf er die Waffe zur Seite und zog sein Schwert. Im Schwertkampf war er meisterhaft. Er würde in die Höhle stürmen, den Drachen besiegen und seine Angebetete da raus holen.
He, kein Grund, gleich gewalttätig zu werden. Ich meine, laß uns über das ganze reden, so von Drache zu Held.
Verwirrt schüttelte Jestan den Kopf. Stimmen im Kopf zu hören, war kein gutes Zeichen. Er erinnerte sich gut an den Ritter Dracas, der behauptet hatte, Drachen würden mit ihm in seinem Kopf reden. Er hatte sehr schnell eine neue Wohnung in einem dieser Häuser mit weichen, aber dicken Wänden bekommen.
Der Drachenkopf schob sich vorsichtig aus dem Höhleneingang.
BOOOH
Der Gedanke streifte Jestan nur ganz leicht, wie eine vage Ahnung. Dafür bäumte sich sein Schlachtroß ängstlich wiehernd auf, warf ihn ab und galoppierte in wilder Panik davon.
Jestan landete unsanft auf seinem gepanzerten Hinterteil.
"Autsch. Scheiße."
Tschuldigung, aber meiner Erfahrung nach werden Helden sehr viel gesprächiger, wenn ich ihre Position verschlechtere.
Langsam trat der ganze Drache aus der Höhle heraus.
So schnell es seine Rüstung erlaubte, rappelte sich Jestan auf, griff sein Schwert und deutete damit auf den Drachen.
"Keinen Schritt näher, oder... oder... oder du wirst es bereuen."
Ist ja gut. Sei vorsichtig mit dem Ding, sonst verletzt du noch jemanden.
Der Drache setzte sich.
Also, du bist Jestan. Hab ja schon einiges von dir gehört.
Jestan fühlte sich nicht so ganz wohl in seiner Haut Das lief alles nicht so, wie er es erwartet hatte.
"Ich, äh, GIB SOFORT DIE PRINZESSIN HERAUS; DU UNGETÜM; ODER ICH HOLE SIE MIT GEWALT."
He, keine Panik. Das will ich dir ja gerade erzählen. Das alles ist ein furchtbares Mißverständnis. Ich wollte sie gar nicht entführen. Du mußt wissen, ich schlafwandle, und... na ja, das ist eine lange Geschichte. Nimm sie mir, okay? Du würdest mir damit wirklich einen Gefallen tun. Ich meine, sie hat meine Höhle dekoriert!
Vessenas Stimme drang aus der Höhle
"Du hast gesagt, es gefällt dir!"
"WIE DU WILLST! STIRB; DU..." Jestans Eifer wurde von seinem Verstand überholt. "Äh, was?"
Du kannst sie einpacken, abholen, mitnehmen, frei Haus geliefert haben.
"Glaub ihm kein Wort, das ist eine Falle. Er will dich nur täuschen." Kein Zweifel, das war Vessenas Stimme.
Könntest du dich da bitte raushalten? Ich versuche hier, den Tag zu retten.
"Um wessen Entführung geht es hier, deine oder meine?"
Jestan spürte, wie der Boden der Vernunft unter seinen Beinen der Logik kräftig zu schwanken begann. Er beschloß, das ganze wieder auf gewohnte Bahnen zu lenken.
"Hör zu, Drache. Ich bin der Held. Du der Drache und Vessena die Prinzessin, die gerettet werden will."
Also, bei letzterem Punkt wäre ich mir nicht so sicher...
"RUHE! Ich versuche hier, eine Heldentat zu begehen! Also, laut Rollenverteilung werden wir jetzt gegeneinander kämpfen. Der Sieger bekommt die Jungfrau. Oder so. Bist du bereit?"
Menschen. Du kannst einfach nicht mit ihnen reden. Na gut. Ich bin's leid. Bringen wir es hinter uns. Vessena, Kleines, würdest du bitte kurz auf die Schafe aufpassen. Dein Verlobter will unbedingt Ärger. Und ich habe genug Ärger gehabt die letzten beiden Tage. Das reicht sicher für uns beide.
Mit donnernden Schritten trampelte der Drache auf den Prinzen zu.
Der Anblick des Riesigen Tieres, daß seine Tonnen von lebender Masse auf ihn zu bewegte, ließ Jestan schon ein wenig das Herz in die gepanzerte Hose rutschen. Aber wenigstens fühlte er sich jetzt wieder auf bekannten Terrain. Mutig hob er das Schwert und stellte sich dem Drachen entgegen.
Mit einer Geschwindigkeit, die dem großen Wesen kaum zuzutrauen war, schoß der Kopf des Drachen nach vorne. Geschickt wich der Prinz aus, fing den Feuerstrahl mit seinem Schild ab und stieß mit dem Schwert zu.
Die Klinge glitt an den goldenen Schuppen des Drachen ab.
He, das kitzelt.
Der Drache bremste seinen Schwung geschickt ab und schlug mit seinen Schweif nach den Prinzen. Dieser sprang geschickt über den Schwanz, hackte mit dem Schwert danach und schaffte es, eine Schuppe absplittern zu lassen.
Verdammt. Weißt du, wie schwer es ist, die wieder zu befestigen.
Er schlug mit einer Klaue nach dem Menschen.
Der Prinz traf ihn am Rücken. Wieder sprang eine Schuppe ab.
Oh nein. An die Stelle komme ich doch nicht ran!
Wieder und wieder schlugen, bissen und flammten die Beiden Kontrahenten nacheinander. Der Drache war dem Prinzen an Stärke und Größe wohl überlegen, aber der Prinz war in der tat ein hervorragender Kämpfer. Der Drache mußte einen Schlag nach dem anderen einstecken, verlor einige Schuppen und meckerte jedesmal. Doch keiner konnte die Oberhand gewinnen.
Da entdeckte der Prinz eine Stelle am Bauch des Drachen, an der die Schuppen fehlten. Wenn es ihm gelang, diese Stelle zu treffen...
Und wahrhaftig, in diesem Moment bäumte sich der Drache auf, die Stelle lag offen vor ihm, er brauchte nur zuzuschlagen...
Ach komm, das ist doch dämlich. Wir haben doch gar keinen Grund, uns zu schlagen. Ich spiel da nicht mehr mit.
Der Prinz zögerte. "He, du kannst nicht mitten im Kampf einfach aufhören."
Würdevoll drehte sich der Drache um.
Der Schweif traf den Prinzen mit voller Wucht, schleuderte ihn mehrere Meter zur Seite.
Als sich die Sterne wieder verzogen, fühlte er das Gewicht einer beachtlichen Drachenklaue auf seiner Brust. Fauliger Atem strömte ihm entgegen, und zwei feuerrote Augen durchbohrten ihn mit ihrem Blick.
Ha, ha. Reingelegt, du kleiner Möchtegernheld. Na, wie gefällt dir das, he? Wie fühlt sich der große Prinz und Drachentöter jetzt. Harmlose Drachen töten, um die Potenz zu beweisen. Du ahnst nicht, wie oft ich alleine in diesem Jahrzehnt umziehen mußte wegen Menschen wie dir. Aber bin ich nachtragen? Neeein. Ich lasse dir sogar die Wahl, welches Körperteil ich dir zuerst abbeißen soll. Arme, Beine, den Kopf oder...
"HÖR SOFORT AUF DAMIT!"
Etwas zog kräftig am Schweif des Drachen. Mehr aus reiner Verblüffung als wegen der Stärke des Rucks nahm der Drache die Pranke vom Prinzen. Jestan kroch so schnell wie möglich von der Riesenechse weg.
Jemand umklammerte ihn von hinten.
"Waaaaah."
"Ganz ruhig, Liebster. Ich bin es. Es wird alles gut. Der böse Drache wird dir nichts mehr tun."
Und warum nicht?
Mit einer Heftigkeit, die den Boden erzittern ließ, legte sich der Drache vor den beiden nieder. Die Klauen seiner rechten Pfote ließ er eine nach der anderen auf den Boden trippeln. Das Geräusch war beängstigend.
"Weil ich ihn liebe. Ich werde nicht zulassen, daß ihm etwas passiert."
Korrigiere mich, wenn ich was falsches sage, aber bist du nicht die gleiche Prinzessin, die seit zwei Tagen mit beachtlicher Beharrlichkeit meine Höhle in Beschlag nimmt, es sich dort häuslich einrichtet und ihre Hochzeit verschlafen hat? Ist es da soweit hergeholt, zu vermuten, daß du deinen Prinzen gar nicht heiraten willst? Ich meine, klar, du mußt ihn heiraten. Ihr Menschen nennt das Politik oder so. Aber daß du ihn liebst...
"NEIN!"
Jestan zuckte in Vessenas Armen zusammen ob der Heftigkeit in ihrer Stimme. Etwas beschwichtigend fuhr sie fort.
"Nein. So ist es nicht. Ich meine, ich weiß, wonach es aussieht, und es tut mir alles auch ganz schrecklich leid, wegen der Höhle und dem Kampf und so, aber... aber..."
Oh Schwefel. Prinzchen, paß auf, das kenne ich inzwischen. Gleich fängt sie an zu weinen, und ich werde mich wie eine Libelle aufführen.
Jestan erwiderte verständnislos den hilfesuchenden Blick des Drachen
Habe ich erwähnt, daß das eine lange Geschichte ist?
Doch diesmal blieben die Augen der Prinzessin trocken. Sie schluckte einmal und fuhr dann fort.
"Es ist nur so, wenn du mich heiratest, dann wirst du König, und dann willst du andauernd Heldentaten vollbringen, nobel sein und all das. Und mein Vater, ich meine, er starb so, ging aus, um sein Land zu retten und kehrte nie wieder. Und wenn dir das auch passiert, ich weiß einfach nicht, was ich dann tun würde. Und alle haben gesagt, ich kann dich nicht lieben, weil ich dich doch heiraten muß, und Michos stinkt so sehr nach Pferdemist und... und..."
Weinend vergrub sie ihr Gesicht in Jestans Nacken. Dem jungen Prinz war die Verwirrung deutlich anzusehen. Das war alles ein wenig viel für eine Heldentat. Sein Mund öffnete sich...
Eine leise Stimme erklang in seinem Kopf, so leise, daß Vessena sie wohl nicht hören konnte.
Junge, was immer du tust, sag jetzt nichts. Versuche bloß nicht, zu verstehen, was sie gesagt hat, oder mit ihr zu diskutieren. Glaube mir, mit dieser Frau zu argumentieren ist wie Luftschnappen im Wasserglas. Ein Onkel väterlicherseits hatte sich mal mit einem Magier angelegt, der ihn kleinzauberte und in ein Wasserglas steckte, und...
Doch Jestan hörte ihm nicht mehr zu. Er hatte sich umgedreht, die Prinzessin in die Arme genommen und wiegte sie sanft hin und her.
... mir hört ja eh niemand zu.
Der Drache ließ seinen Blick noch eine Weile auf dem Liebespaar ruhen. Es sah fast so aus, als würde er zufrieden grinsen. Dann wendete er sich ab und trottete in seine Höhle.
Dabei ist es eine wirklich spannende Geschichte. Na ja, denke, es ist Zeit, zu packen. Die Gegend ist mir zu stressig. Morgen bin ich weg. Und keine Sorge, ihr seht mich nie wieder. Versucht bloß nicht, mich aufzuhalten.
Dann war er verschwunden. Zurück blieben nur Prinz und Prinzessin, bald schon König und Königin von Drachenhorst.


Epilog:
Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende...
Aber so einfach ist das nicht.
Der Drache zum Bleistift war gar nicht glücklich. Ob er wollte oder nicht, er hatte sich an die Gegenwart der Prinzessin gewöhnt, und er mochte die neue Höhle. Na, ja, er würde sie wieder mögen nach ein paar gravierenden Änderungen das Innendesign betreffend. Aber das war jetzt auch schon egal. Die Menschen würden ihn hier bestimmt nicht mehr dulden. Immerhin hatte er ihren König tätlich angegriffen, ihre Königin entführt und fast die Hochzeit vereitelt. So zumindest würden die das auslegen, und ihm hörte ja eh keiner zu.
Lustlos versuchte er, aus den Goldmünzen einen Schlafplatz zusammenzuhäufen, aber es mochte ihm nicht gelingen, etwas auch nur annähernd bequem chaotisches daraus zu formen. Zischend ließ er sich auf dem kläglichen Goldhaufen nieder. Es dauerte sehr lange, bis er einschlief. Wirklich, wirklich lange.

Ein neuer Morgen brach an, die ersten Sonnenstrahlen krochen vorsichtig in die dunkle Höhle, tasteten sich Schritt für Schritt über die groben Wände glitten, über golden glänzende Schuppen, und weil Sonnenstrahlen selten etwas dazu lernen, trafen sie wieder auf zwei Untertassengroße Augenlider.
Der Drache erwachte. So schlecht hatte er seit Jahrzehnten nicht mehr geschlafen. Jede einzelne Schuppe tat ihm weh. Apropos Schuppen, er mußte da noch ein paar vom Kampfplatz aufsammeln. Das würde eine Tortur werden, die wieder einzusetzen.
Er öffnete die Augen.
Vessena blickte ihn verdutzt an.
Der Kopf des Drachen schoß in die Höhe und krachte schmerzhaft gegen die Höhlendecke.
Er schloß die Augen, kniff sie so fest zusammen, daß es weh tat.
Das ist ein Alptraum. Ich schlafe noch. Klar. Ich meine, ich kann unmöglich wieder Schlafgeflogen sein. Ich werde jetzt die Augen öffnen, und niemand wird dort an der Wand sitzen. Und mit niemand meine ich explizit jungfräuliche Prinzessin.
Er öffnete die Augen
Oh Schwefel.

Vessena konnte sich ein Grinsen nur mühsam verkneifen. Der Prinz und sie hatten die ganze Nacht durchgeredet, und sie hatte ihn überzeugt, daß der Drache eine echte Bereicherung für das Reich sein konnte. Ratio würde es sich zweimal überlegen, eine Armee mit Drachenunterstützung anzugreifen.
Und irgendwie hatte sie sich an die große Brummechse gewöhnt.
Vor dem Eingang lagen zwei geröstete Spanferkel, vom Chefkoch selbst zubereitet, in begleitung von Jestan, der sie nicht noch mal aus dem Auge verlieren wollte.. Sie hatte darauf bestanden, sie ihm noch vor der Hochzeit zu bringen, so daß er auch ein wenig mitfeiern konnte. Die Schuppen hatte sie ihm auch schon wider eingesetzt, während er schlief. Und in ihrer Tasche befand sich ein Dokument, daß dem Drachen hochoffiziell den Besitz dieser Höhle sicherte und ihn unter königlichen Schutz stellte, so lange er keine Drachenhorstschafe riß oder Menschen fraß.
Könnte mich einer Zwicken? Eh, du nicht, du bist nur eine Einbildung. Hoffentlich.
Aber das mußte sie ihm ja nicht gleich auf die Schnauze binden.

© Stefan Brinkmann,
www.nachtpoet.de, stefan@nachtpoet.de

1. Version fertiggestellt am Donnerstag, 27. November 1997, um 23:01 Uhr

 

 

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