Die Diskussion

Es war einer dieser Gespräche, die ganz harmlos anfangen, ein wenig im Dies und Das herumstreunen, dann, in einem unbeobachteten Moment, ins Gehaltvolle und Gewichtige abdriften, durch die Gefilde der Philosophie streunen und dann, am Ende, in einer ernsthaften, ja, fundamentalen Grundsatz-Diskusssion ausarten.

"Das kannst du nicht wissen!" warf ich zurück. "Gar nichts weisst du, wenn man es genau nimmt."

Sie sah mich an, mit diesem alles und nichtsagenden Blick, garniert mit einem Schuss anklagender Überheblichkeit.

"Ach", sagte sie. "Ach", als sei damit alles gesagt und widerlegt.

Ich meine, was hätte ich tun sollen? Klein beigeben? Ich hatte noch gar nicht losgelegt.

"Ja", sagte ich, "Ach du nur. Aber alles, was du zu wissen glaubst, basiert doch nur auf deiner Wahrnehmung. Und die ist alles andere als unfehlbar. Ich meine, was nehmen deine Sinne schon auf? Moleküle, Wellen, Atome, Quarks, Stings und wie sie alle heißen, die nur vorgeben, etwas zu ein, dieser Tisch zum Beispiel, oder das Glas, oder, oder, Dein Körper, oder mich selbst. Nur dein Gehirn nimmt diese ganzen Eindrücke und macht daraus ein Bild, einen Geruch, ein Gefühl. Letztendlich könnte das alles nur ein Traum sein."
"Na klar.", sagte sie, mit dieser Stimme, die spottet und abtut. "Ein Traum", sagte sie. "Natürlich."

Gott, wie wütend sie mich damit machte.

"Ja verflucht, ein Traum, wieso auch nicht. Oder, wo wir schon dabei sind: Woher weißt du, dass die Welt vor dir weiter bestehen bleibt, wenn Du dich umdrehst und sie nicht mehr siehst? Vielleicht nimmst du sie nicht wahr, weil sie existiert, sondern kreierst sie, weil du sie wahr nimmst? Vielleicht höre sogar ich auf zu sein, wenn du dich umdrehst, bin nur deine Schöpfung. Oder du meine."

"Du spinnst doch", sagte sie, nahm sich eine neue Zigarette aus der Packung und drehte sie zwischen den Fingern. Ich weiss, wie sehr sie das hasst, wenn ich so bin, so Lehrerhaft, wie sie es nennt. Wenn ich doziere wie vor einer dummen Schülerin. Aber ich wollte doch nur, dass sie mal runter kommt von ihrem hohen Ross und ihren festgetrampelten Gedankenpfaden.

"Ja? Ja? Ich Spinne? Und was macht dich da so sicher? Woher weisst du, mit allerletzter Gewissheit, dass hinter der Eingangstür die Welt ist, wie Du sie kennst, und nicht etwa ein Drache lauert?"
Da lächelte sie, lächelte und sagte einfach: "Ich würde ihn hören, oder? Und riechen. Stinken die nicht nach Schwefel?"

"Von mir aus ein sehr ruhiger und geruchloser Drache." Ich weiss, nicht die stärkste Antwort, aber wenn sie mit dieser so schrecklich bodenständigen Art antwortet, naja, so kann man doch nicht vernünftig argumentieren.

"Nun", sagte sie, legte die immer noch unangezündete Zigarette zurück, "das lässt sich klären." Stand auf. Und ging zur Tür.

Und ich wollte es. Wollte es mit aller Macht. Stand da, zitternd, mit geballten Fäusten, wußte, sie würde die Tür öffnen, und nur den ewig gleichen Gang sehen, mit den vergilben Wänden und dem zerkratzten Treppengeländer. Wie sie sich umdrehen würde und sagen: "Siehst du, kein Drache", und damit wäre die Diskussion für sie beendet. Und ich wollte doch nur einmal als Sieger dastehen, nur einmal ein "Ja, du könntest recht haben." Nur dieses eine mal.

Und sie stand vor der Tür. Machte sie auf. Sah hinaus. Eine Ewigkeit, stand da, einfach so, regungslos. Ich konnte nicht sehen, was sie sah, sie versperrte mit den Blick, sah nur ihre Hand am Türgriff, wie sie weiss wurde und die Sehnen und Knöchel hervortraten, als wolle sie das Messing zerquetschen.
Unendlich langsam schloss sie die Tür wieder. Drehte sich zu mir um. Ihr Gesicht, so weiss, wie ihre Knöchel.

"Du hast Dich geirrt", sagte sie, tonlos. "Er stinkt abartig."

Und ich konnte nicht anders, als mich abzuwenden. Hörte sie noch atmen, einmal, zweimal, dreimal, bis der Zwölfdreißig am Fenster vorbeidonnerte.
Und die letzte Spur ihrer Existenz auslöschte.

© 2007 “Der NachtPoet” Stefan Brinkmann

 

 

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